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Ungerecht und alternativlos

Ein Kommentar von Tobias Schulz   [02.12.2012]

Griechenland war gestern, heute ist es ganz Europa. Spätestens jetzt, da Italien die Insolvenz droht und auch Frankreich ernste Schwierigkeiten bekommt, ist das eingetreten, was die Hilfspakete für Griechenland, Portugal und Irland eigentlich hätten abwenden sollen: die Schuldenkrise ist im Kern Europas angekommen, der große Crash droht, er ist gar unausweichlich, sollte es nicht gelingen, eine große finale Lösung zu finden.

Wie diese Lösung aussehen könnte, steht allerdings in den Sternen. Was aber feststeht: Egal wie die europäische Tragödie ausgeht, die Rechnung wird immens sein und Deutschland, vielmehr die deutschen Steuerzahler, werden sie in großen Teilen begleichen müssen. Sollte es nicht zu einer Lösung und infolge dessen zur Kernschmelze auf dem Finanzmarkt kommen und der ganze Euro auseinanderbrechen, würde dies schwerste Verwerfungen auf dem globalen Finazmarkt zur Folge haben, Banken müßten mit hunderten Milliarden Euro gestützt werden, es drohte eine weltweite Rezession, die jene von 2008 an Intensität und Dauer um Weiten übertreffen könnte.

Am Ende zahlt also Deutschland - ist das gerecht? Deutschland hat seine Hausaufgaben gemacht; die Agenda 2010 war hart und hat ihre Initiatoren letztlich sogar ihr Regierungsamt gekostet. Aber sie war notwendig und erfolgreich, denn sie hat Deutschland wieder fit und wettbewerbsfähig gemacht. Daß die deutsche Wirtschaft momentan im globalen Vergleich so glänzend dasteht, ist das Resultat dieser Agenda-Politik. Während der Reallohnzuwachs der letzten zehn Jahre sich in Deutschland im niederen einstelligen Prozentbereich bewegt, gönnten sich unsere griechischen Euro-Partner Zuwächse im dreistelligen Bereich. Und jetzt sollen wir die Zeche bezahlen? Wir sollen für unser erfolgreiches Wirtschaften auch noch bestraft werden? Das ist ungerecht - keine Frage; sogar äußerst ungerecht.

Allerdings ist Deutschland an der jetzigen Entwicklung auch nicht ganz unschuldig. Gerade Deutschland und Frankreich waren die ersten, die die Verschuldungsgrenzen des Maastricht-Vertrages mißachteten und dafür sorgten, daß dies folgenlos blieb. Ein fatales Signal an die anderen Euro-Länder: Wer die Maastricht-Kriterien nicht einhielt, brauchte offenbar keine schmerzhaften Konsequenzen zu fürchten - der Startschuß für die finanzielle Hemmungslosigkeit war gefallen.
Ein weiterer Fehler war die offensichtlich ungeprüfte Aufnahme in den Euro-Raum. Wer schon bei seinem Beitritt so schamlos betrügen kann, muß davon ausgehen, daß er auch später mit dieser Masche durchkommt. Auch in den anderen südlichen Euro-Ländern war wirtschaftliche Vernunft keine gepflegte Tugend.

Wie es zu dieser Krise kam, ist weitestgehend unbestritten; über eine adäqute Lösung zerstreiten sich sich aber die renommiertesten Ökonomen - die eine "richtige Lösung" wird es wohl auch gar nicht geben können. Einfache Lösungen, wie sie anfangs, als nur Griechenland betroffen war, noch möglich schienen (Euro-Ausschluss, Euro-Austritt), würden jetzt nichts mehr bringen und die Krise nur noch verschärfen; zu groß sind die finanziellen und wirtschaftlichen Verstrickungen und Verbindungen weltweit. Es wäre auch nicht zielführend, die Rating-Agenturen zu verbieten - schon seit den griechischen Tragödien (der Antike) ist bekannt, daß es nichts bringt, den Überbringer der schlechten Nachricht zu töten.

Das zentrale Problem (auch Deutschlands) sind die immens hohen Staatsverschuldungen - unabhängig davon, in welcher Währung sie notiert sind. Sollte ein Land insolvent werden, würde das für seine Bevölkerung schwere soziale Verwerfungen bedeuten - unvorstellbar, daß die anderen Partner der Europäischen Gemeinschaft nicht hülfen. Ein Land pleite, der Nachbar lebt in Saus und Braus - das wäre der beste Nährboden für Haß und Mißgunst (einen Vorgeschmack davon gibt es ja schon in Griechenland); fünfzig Jahre europäische Intergration wären umsonst, das größte europäische Friedensprojekt der letzten Jahrhunderte nachhaltig in Gefahr. Kein vernünftiger Mensch wird dieses Risiko eingehen wollen, und daher wird es letzlich auch zu einer umfassenden Lösung kommen.

Bevor aber die letzten Stabilitätsgrundsätze aus übergeordneten Gründen über Bord geworfen werden, muß sichgestellt sein, daß sich Staaten nie mehr in diesem Maß verschulden können - aus diesem Grund ist der Kurs Frau Merkels in Brüssel richtig: Zuerst müssen die europäischen Verträge in der Form geändert werden, daß zukünftig Verstöße gegen Stabilitätsauflagen und Schuldenbremsen automatisch, unausweichlich und hart sanktioniert werden. Außerdem muß es direkte Durchgriffsrechte der EU auf die Fiskalpolitik geben - ein sehr problematisches Instrument, weil es Mitgliedsstaaaten im Kernbereich ihrer Souveränität beschränkt. Es ist aber erforderlich, um eine Drohkulisse gegen ungebremste Verschuldung aufzubauen. Erst wenn all dies vetraglich fixiert ist, können die Hilfen fließen. Weitere Zahlungen im voraus würden die Länder für Ihr unwirtschaftliches Handeln nur belohnen und keinerlei Anreiz bieten, in Zukunft solider zu wirtschaften.

Eine Lösung wird kommen, sie wird teuer und ungerecht sein. Und - leider - alternativlos.