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Hart, aber gerecht

Ein Kommentar von Tobias Schulz

Kühe vor Aldi-Filialen, wütende Bauern, ein angedrohter Milchboykott und ein empörter Horst Seehofer - die Preissenkung für Milch schlägt deutschlandweit hohe Wellen. Obwohl Preissenkung eigentlich der falsche Ausdruck ist: Niemand hat beschlossen, daß Milch nun plötzlich weniger wert ist; es ist momentan schlicht und einfach das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, also der Markt, der den Preis für Milch festlegt.

Daß das Wirken marktwirtschaftlicher Automatismen der Bauernschaft beunruhigend erscheinen muß, kann niemanden überraschen, bestand und besteht doch ein guter Teil des bäuerlichen Einkommens aus EU-Subventionen, Prämien etc..
Jahrzehntelang regulierte die EU auf dem Agrarsektor so gut wie alles und schottete den europäischen Agrarmarkt mit hohen Einfuhrzöllen vom Rest der Welt ab - in erster Linie zum Nachteil der Entwicklungsländer, denen der Export landwirtschaftlicher Produkte so unmöglich gemacht wurde.

Nun hat die EU kürzlich die Milchquoten um zwei Prozent erhöht, damit auch die europäischen Milchbauern von der weltweit gestiegenen Nachfrage nach Milchprodukten profitieren können. Ein Effekt dieser großen Nachfrage war unter anderem, daß auch für den deutschen Endverbraucher die Preise für Milchprodukte drastisch anstiegen. Dies wurde damals auch von den Bauern - zurecht - mit dem gestiegenen Marktpreis für Milch, also den Gesetzen von Angebot und Nachfrage begründet. Jetzt, da die Preise aufgrund des starken Euros und damit schlechter Exportmöglicheiten wieder fallen, sollen diese Marktgesetzte aber auf einmal nicht mehr gelten - eine eigenartige Auffassung.

Natürlich haben es die Bauern nicht leicht, denn Ihnen steht eine kleine Anzahl mächtiger Handelsketten gegenüber, die einen großen Einfluß auf die Marktpreise nehmen können. Dies ist eine ungute Situation, aber auch in anderen Branchen wie zum Beispiel der Automobil-Zulieferbranche der Fall; und hier käme trotzdem niemand auf die Idee, die Gesetze eines freien Marktes außer Kraft setzen zu wollen.

Mittelfristig wird die deutsche und europäische Agrarwirtschaft um eine Konsolidierung nicht umhinkommen. Eine Reform des völlig überregulierten europäischen Agrarsektors ist unvermeidlich und wird auch in absehbarer Zeit verwirklicht werden. Zum einen ist der EU-Agrar-Haushalt der mit Abstand größte Kostenfaktor der EU - voller Widersprüche und mit immer zweifelhafteren Ergebnissen -, zum anderen wird die Globalisierung und die weltweit stark steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln eine Öffnung des EU-Agrarmarktes nötig machen.

Europa kann nicht nur selbst von der Globalisierung profitieren wollen, es muß auch den Entwicklungsländern die Chance geben, an der weltweiten Wohlstandsmehrung teilzuhaben. Es kann nicht sein, daß Europa seine Märkte abschottet und die Produktionsmengen künstlich kleinhält, während in anderen Teilen der Welt die Menschen aufgrund exorbitant steigender Preise für Nahrungsmittel hungern müssen.

Freie Marktwirtschaft und Gerechtigkeit lassen sich also nicht nur vereinen, sie bedingen einander sogar. Dies werden auch die deutschen Bauern einsehen müssen, auch wenn ihnen noch eine harte und schmerzhafte Konsolidierungsphase bevorsteht.